Dr. Wolfgang Heuer

Worte zur Eröffnung der Ausstellung am 14. Oktober 2006

Es war vor genau vier Jahren, dass ich mich mit Sebastian Hefti in Baden bei Zürich für ein paar Tage getroffen habe, um über das Bildhafte in Arendts Denken zu sprechen und zu überlegen, ob wir eine Kunstausstellung auf die Beine stellen sollten. Sebastian hat Philosophie studiert, ich arbeite in der politischen Wissenschaft, wir waren also weitgehend ahnungslos, was es bedeutet, eine solche Ausstellung auf die Beine zu stellen. Ich kann nur sagen, das war gut so, sonst hätte ich vielleicht eher abgewunken. Denn abgesehen von den üblichen Arbeiten bei einer Ausstellungsvorbereitung: bei einem so ungewöhnlichen Raum wie diesem hier, den ich für die Ausstellung nicht missen möchte, muss auch die Infrastruktur erst geschaffen werden - von der Genehmigung des Denkmalschutzes über Feuerlöscher, Aufsichtspersonal, Reinigung, Wachdienst bis hin zu Versicherungen - da wird man im raschen Wechsel Arbeitgeber, Bauherr und auch Krisenmanager.

Ohne ein Team, in dem neben den Arendt-Kennern auch Kunstkenner/innen mitarbeiten, wie unser Kurator Peter Funken, Katharina Kaiser und Prof Hermann Pfütze, wäre das nicht möglich gewesen.

Ein solches Unternehmen hat etwas von dem, was Hannah Arendt das Wunder des Neuanfangs nannte: nicht nur die Idee verwirklichen zu wollen, Hannah Arendt und die Kunst zusammenzubringen, sondern auch das Risiko der Offenheit, der Unabsehbarkeit des Ergebnisses einzugehen.

Das Ergebnis ist eine, wie ich finde, sehr gelungene Ausstellung, in der sich die beteiligten Künstlerinnen und Künstler von Arendts Denken inspirieren ließen, sich mit den Themen unserer Zeit auseinander setzten und so einen eigenen Raum schufen.

Hannah Arendt Denkraum: vor 100 Jahren wurde Arendt geboren. Die Ausstellung ist nicht nur ihrem Geburtstag gewidmet, sondern der Aktualität ihres Denkens, der Aufwertung eines offenen Denkens, das Arendt gegen das Nicht-Denken im 20. Jahrhundert, gegen Ideologien und Lagermentalitäten, gegen die Logik der Zwangsläufigkeit und gegen die Gedankenlosigkeit richtete. Gegen all das, was den Weg in den Holocaust und in die Gulags geebnet hatte.

In Fragen des Denkens und Urteilens, so Arendt, herrscht in der Moderne Verwirrung: Denken führe zu nichts, oder letztlich doch nur in die Irre, Denken sei etwas für Fachleute, und wie solle man in entscheidenden Momenten urteilen, wenn doch kein letztgültiger Maßstab vorhanden sei. Arendt ist in ihrer Zeit und zugleich gegen ihre Zeit das Wagnis des offenen, dabei aber gerade nicht beliebigen Denkens eingegangen. Das bezeugen ihre so unterschiedlichen Schriften über die Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft, über die moderne apolitische Massengesellschaft, über die Frage, was eigentlich Politik sei, über den Unterschied von Macht und Gewalt oder über die Rolle der Lüge in der Politik. Sie nannte ihre Essays ‚Übungen im politischen Denken', und bei näherer Betrachtung stellt sich heraus, dass auch ihre z.T. umfangreichen Werke aus lauter miteinander zusammenhängenden Essays bestehen. Die Krisen, über die sie schrieb, bewegen uns nach wie vor: Flüchtlinge und Staatenlose, Terrorismus und totalitäre Bewegungen, imperiale Politik und ratlose Politik. Für Arendt war das Denken ein Lebensbedürfnis, das Verstehen wichtiger als das Wirken. Politik beschrieb sie neu als das Handeln zwischen Menschen, mit dem allein Welt und Wirklichkeit erfahrbar werden und ohne das, wie sie es nannte, die Oasen von der Wüste der Zivilisationslosigkeit zugedeckt werden. Ohne politisches Handeln, ohne politisches Denken, ohne Verantwortung für die gemeinsame Welt treibt diese Welt unaufhaltsam dem Ruin zu. Politik als Verwaltung, als Handlungsvollzug, bei dem es keine Alternativen, keinen Neuanfang, keine Spontaneität gibt, hielt sie für eine Verwüstung von Politik und Freiheit.

"Denken ist wie das Leben selber", schrieb sie.
"Denken macht die Welt heimisch."
"Denken ist dies Durchsprechen einer Sache mit sich selbst; Rede ist Rede über. Beides ist Sprechen."
"Alles Denken verlangt ein Innehalten."
"Es gibt keine gefährlichen Gedanken; das Denken selbst ist gefährlich."
"Denken folgt der Wahrheit, nicht umgekehrt. (...) wie das Leben aus der Quelle der Geburt gespeist wird, so das nur ihm verwandte Denken aus der Quelle der Wahrheit."
"Das spezifisch Böse der Gewalt ist ihre Stummheit. Logisches Denken führt immer in Gewalt. Logik spricht niemand an und redet über nichts. So bereitet sie die Gewalt vor."
"Durch die Flucht aus der Politik verschleppen wir die Wüste überall hin - Religion, Philosophie, Kunst. Wir ruinieren die Oasen!"

In der Erkundung des Neuen benutzte Arendt Metaphern und Denkbilder, ganz im Unterschied zu den Gepflogenheiten anderer politischer Theoretiker, die die Wirklichkeit in abstrakte Begriffe zwängen.

"Das eiserne Band des Terrors, mit dem der totalitäre Herrschaftsapparat die von ihm organisierten Massen in die entfesselte Bewegung reißt, erscheint so als letzter Halt und die ‚eiskalte Logik', mit der totalitäre Gewalthaber ihre Anhänger auf das Ärgste vorbereiten, als das einzige, worauf wenigstens noch Verlass ist. Vergleicht man diese Praxis mit der Praxis der Tyrannei, so ist es, als sei das Mittel gefunden worden, die Wüste selbst in Bewegung zu setzen, den Sandsturm loszulassen, dass er sich auf alle Teile der bewohnten Erde legt. Die Bedingungen, unter denen wir uns heute im politischen Feld bewegen, stehen unter der Bedrohung dieser verwüstenden Sandstürme. (...) Ihre Gefahr ist, dass sie die uns bekannte Welt, die überall an ein Ende geraten scheint, zu verwüsten droht, bevor wir Zeit gehabt haben, aus diesem Ende einen neuen Anfang erstehen zu sehen, der an sich in jedem Ende liegt, ja, der das eigentliche Versprechen des Endes an uns ist."

"Die Liebe verbrennt, durchschlägt wie der Blitz das Zwischen, das heißt den Welt-Raum, zwischen den Menschen. Dies ist nur möglich mit zwei Menschen. Tritt der Dritte hinzu, so stellt sich Raum sofort wieder her."

Den Künsten stand Arendt sehr nahe: Sie liebte die Dichtung, die mit dem Denken so eng verbunden ist. Künstler wie Carl Heidenreich und Al Copley gehörten zu ihrem New Yorker Freundeskreis, und das Denken ihres Lehrers Martin Heidegger verglich sie mit den Prinzipien der modernen Malerei.

"Was den Kunstwerken ihre Dauer verleiht, ist vielleicht ihr Ursprung - sie wurden auf dem nicht-zeitlichen Pfad des Denkens geboren."

"Denken, geht "immer auf das, was unter der Oberfläche ist, oder in die Tiefe. Die Tiefe ist seine Dimension. Es aus der Tiefe in die Höhe zu heben, ist die Aufgabe der Dichtung, aller Kunst."

"Ohne die Beständigkeit der Welt, die die den Sterblichen zugemessene Frist auf der Erde überdauert, wären die Geschlechter der Menschen wie Gras und alle Herrlichkeit der Erde wie des Grases Blüte."

Ich möchte dem Hauptstadtkulturfonds für seine großzügige Förderung danken, der Jüdischen Gemeinde zu Berlin für die freundliche Überlassung dieses Gebäudes, der Heinrich-Böll-Stiftung für die Förderung unseres Rahmenprogramms und den weiteren Kooperationspartnern: Haus am Kleistpark, Akademie der Künste, Berlin-brandenburgische Akademie der Wissenschaften und Kulturradio des RBB. Ich danke allen, die an dem Projekt mitgewirkt haben oder durch großzügige Spenden mit ermöglicht haben. Ganz herzlich möchte ich mich bei Katharina Kaiser, Peter Funken und Hermann Pfütze bedanken, unter den Künstlerinnen und Künstlern besonders bei Volker März, dessen Rat gerade in der Anfangszeit sehr wichtig war, und natürlich bei Sebastian.