Dr. Peter Funken

Rede zur Eröffnung der Ausstellung Hannah Arendt Denkraum

Meine sehr geehrten Damen u. Herren, liebe Künstlerinnen und Künstler der Ausstellung.

Ich freue mich, Sie zur Eröffnung der Ausstellung Hannah Arendt Denkraum begrüßen zu dürfen. Heute vor 100 Jahren, am 14. Oktober 1906, wurde Hannah Arendt in Hannover-Linden geboren - ihr Geburtstag stellt den Anlass für die Ausstellung dar und wir können uns an diesem Tage glücklich schätzen den Hannah Arendt Denkraum zu eröffnen. Diese Ausstellung, die Dank der finanziellen Förderung durch den Hauptstadtkulturfonds und vieler anderer Unterstützer zustande kommen konnte, hat eine Vorbereitungszeit von einem knappen Jahr gehabt. Heute Abend sehen Sie das Ergebnis der Arbeit: 12 Künstlerinnen und Künstler zeigen ihre Installationen, Filme, Skulpturen, Collagen, die fast alle für diese Ausstellung neu entwickelt wurden, und die sich mit dem Denken Arendts und den Themen dieser großen politischen Denkerin befassen.
Die Ausstellung war von vorne herein als ein experimentelles Unternehmen geplant - wie gerade gesagt, sind die allermeisten Arbeiten für diese Ausstellung entwickelt worden - aber auch darüber hinaus stellten und stellen sich Fragen an das Konzept und die Realisierung der Ausstellung. Gerne möchte ich einige Sätze zum Konzept der Ausstellung sagen:
Idee und Anregung zur Ausstellung Hannah Arendt Denkraum kamen von einem Politologen und einem Publizisten, die sich seit vielen Jahren mit Hannah Arendt befassen: Wolfgang Heuer und Sebastian Hefti gaben den Anstoß zu diesem experimentellen Ausstellungsprojekt. Vielleicht konnte es auch nicht anders sein, denn Hannah Arendt (1906 - 1975), die am 14. Oktober ihren 100. Geburtstag gehabt hätte, war eine politische Denkerin und ist vor allem im Bewusstsein und in der Debatte von Politologen und Philosophen anwesend. Gewiss - Hannah Arendt interessierte sich in ihrer New Yorker Zeit in den 50er und 60er Jahren für zeitgenössische bildende Kunst und stand darüber im Gespräch mit ihrem kunstversierten Ehemann Heinrich Blücher, doch ihre Interessen lagen primär nicht im Gebiet künstlerischer Gestaltung und Ästhetik, sondern im Raum der Erforschung des Humanen und Antihumanen, der Zukunft von Politik und Freiheit, der Arbeit und des Denkens selber. Mittlerweile hat Arendts Werk eine große Aktualität auch für die Kunst bekommen, auch weil immer deutlicher wird, wie tief sich die westliche Kultur in einer Krise befindet, - viele Menschen sind heute entmutigt und die Gesellschaft wird immer infantiler - Hannah Arendt hat solche Entwicklungen in ihrem Werk schon früh diagnostiziert. In der Beschäftigung mit Ihrem Werk kann man den Mut wieder finden und auch erwachsen werden. Die von ihr erkannten Themen und Probleme sind im letzten Jahrzehnt zunehmend in das Gesichtsfeld von Künstlern und Kuratoren geraten, weil Fragen nach der Gestalt der Zukunft sich zwingend aufdrängen - leben wir doch in einer Zeit komplexer Umbrüche, welche die Arbeitsgesellschaft genauso betreffen wie das Wertegefüge der westlichen Welt, die mit ungelösten Globalisierungsfragen und der Debatte einer zu entwickelnden Kulturgesellschaft aufwarten. Bei Hannah Arendt treffen Künstler auf ein Denken, das dazu ermutigt, kritisch und mit Skepsis selber zu formulieren und sich einzumischen für ihre Belange, Stellung und Bedeutung in der Gesellschaft. Arendts Denken war und ist im Sinne eines ideologieresistenten Ansatzes zu verstehen, der Geistigkeit und Kreativität, poetische Formulierungskraft und Tatsachenwissen anbietet, mit der radikalen Aufforderung selber zu denken, zu sprechen, zu veröffentlichen - und in einer Ausstellung eben mit den Mitteln der Kunst und mit dem Angebot eines Denkraums, der allen Interessierten offen steht.
Gut wäre es, wenn dieser Denkraum, der im Gebäude der ehemaligen Jüdischen Mädchenschule entstanden ist, etwas von einem Thinktank hat, wie auch von einem Gedenkraum, aber weder das eine noch das andere ist, und der zugleich Verbindungen herstellen kann, zwischen Forschenden und Handelnden aus Politik, Philosophie und Kunst. In diesem Sinne sollte der Hannah Arendt Denkraum ein Raum des offenen Denkens und der Vernetzung sein, der sich mit dem Denken Arendts und den künstlerischen Beiträgen der Ausstellung auftut, denn die Künstlerinnen und Künstler sind zwar gewiss durch Arendts Denken angeregt und inspiriert worden, aber sie illustrieren weder die Thesen der politischen Denkerin jüdischer Herkunft, die 1933 aus Deutschland vertrieben wurde, noch geht es ihnen um eine Dokumentierung ihres Lebens.
Intendiert ist mit den ausgestellten Arbeiten eine gegenwarts - und zukunftsorientierte Beschäftigung mit den Denkformen Arendts sowie eine Anwendung und Übersetzung auf die gesellschaftliche Entwicklung der Gegenwart und Zukunft mit dem Ziel, selbstständige künstlerische Positionen zu benennen und neue Diskussionen auszulösen. Dies findet in der Ausstellung insofern statt, als die teilnehmenden Künstlerinnen und Künstler sich von zentralen Themen Arendts anregen ließen und sie aufgegriffen haben: Judith Siegmund und Johan Lorbeer fokussieren mit ihren Beiträgen die Gegenwart und Zukunft der Arbeit. Parastou Forouhar wie auch die Schweizer Sebastian Hefti, Susanne Hofer und Katrin Oettli befassen sich mit dem Totalitarismus als Massenphänomen. Adib Fricke und Martha Rosler beziehen sich in ihren Beiträgen auf Arendts zentrale Ausdrucksmedien Schrift und Sprache. In der Arbeit von Thomas Hirschhorn, die in Zusammenarbeit mit dem Philosophen Marcus Steinweg entstand, wie auch bei der von Volker März geht es um die Form des künstlerischen Zugangs auf die Person Hannah Arendts und ihr Denken. Tobias Hauser stellt mit seiner Installation Fragen nach persönlicher Freiheit und staatlicher Einmischung, während Ram Katzir die Themen von Verfolgung und Vertreibung im Sinne eines jüdischen Schicksals und als individuelles Schicksal Hannah Arendts aufgreift. Mit Blick auf Arendts kritische Prognose einer Zukunft der Arbeitsgesellschaft initiierte Judith Siegmund in der von großer Arbeitslosigkeit betroffenen Stadt Weißenfels in Sachsen-Anhalt Lesekurse zum Thema "Berufung - Job Maloche? Arbeiten Herstellen Handeln". Arendts "Vita Activa - vom tätigen Leben" war Lesestoff der Kurse und eröffnete den Ausgangspunkt für Gespräche zwischen Menschen ganz unterschiedlicher Biografien. In der Ausstellung zeigt die Künstlerin Videos, die Interviews mit den Teilnehmenden wiedergeben. Ram Katzir geht es in seinen beiden Beiträgen zur Ausstellung um die Position des Paria, des Fremden und Außenseiters, auf den sich Hannah Arendt in ihrem Denken beruft und dessen Schicksal sie am eigenen Leibe erfahren hat. Seine Plastik "Petrification/Versteinerung" zeigt einen Koffer aus rosabraunen Steinen, die aus Jerusalem stammen. Seine Arbeit stellt der Künstler zusammen mit einer Vitrine, in der Steine und Steinstaub lagern, im Foyer der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften aus, in unmittelbarer Nähe zu dem Ort, an dem Hannah Arendt 1933 verhaftet wurde. Auch Johan Lorbeer thematisiert mit seiner Performance "Bios Xenikos" die Rolle des Fremden und des Außenstehenden, wenn er - scheinbar die Schwerkraft aufhebend und ohne Bodenkontakt - an der Wand lehnt und über Arendts Metapher vom "Denken ohne Geländer" spricht. Die aus dem Iran stammende Parastou Forouhar kommentiert mit ihrer Flashanimation "just a minute" und der Installation "Sag mir wo die Menschen sind", die Folterszenen auf Folienballons zeigt, ihre Erfahrungen mit einer Diktatur, die totalitäre Züge besitzt. Auch Sebastian Hefti, Susanne Hofer und Katrin Oettli beziehen sich mit der komplexen Videoinstallation "Auditorium Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft"auf Arendts Auseinandersetzung mit dem Totalitarismus und konkret auf ihr Epochenwerk "Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft" (1951), das von Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens jeweils in Abschnitten vor Publikum gelesen wurde. Die Lesungen wurde in ihrer Gesamtheit von 45 Stunden auf Video aufgezeichnet. Aus diesem Material haben Hefti/Hofer/Oettli für den Berliner Denkraum eine Videoinstallation geschaffen. Martha Rosler stellt mit ihrer Zitat-Installation "Reading Hannah Arendt", die Arendt-Zitate sowohl in englisch und deutsch wiedergibt, direkte Bezüge zur Kriegsrethorik in den USA her. In Thomas Hirschhorns "Hannah Arendt Map", die in Zusammenarbeit mit dem Philosophen Marcus Steinweg entstand, wird ein künstlerischer Zugang zum Werk der politischen Denkerin erkennbar. Hirschhorn sagt zu seiner Arbeit: "Ich muss auch kein Hannah Arendt-Kenner sein, was ich will ist: ihre Philosophie als Kunstwerk erfassen. Ich kann mich dem Werk Hannah Arendts nähern, es berühren, mich damit auseinandersetzen, ich will und ich kann es begreifen - wie ein Kunstwerk". Auch der Zugang von Volker März scheint ein persönlicher zu sein, denn der Künstler nähert sich der Person Hannah Arendt, indem er sie skulptural immer wieder neu und anders darstellt. Insgesamt zeigt seine Arbeit "Das Lager als Denkraum"in einem Industrieregal 333 Tonfiguren, die Arendt abbilden. In einer Fotoserie beschreibt März "Das Verschwinden der Hannah Arendt". Zu beiden Beiträgen gehören von März verfasste Songs. In der Installation "Smoking / Das hin und her der Gründe" befasst sich Tobias Hauser mit Hannah Arendt als einer rauchenden Denkerin, also mit einem 'Icon' des 20. Jahrhunderts. Am Beispiel des Rauchens verweist er zudem auf den Umfang staatlicher Einmischung in das Leben der Individuen, der heute stattfindet, gut geheißen wird und dabei von wirklich wichtigen gesellschaftlichen Themen ablenkt. In Hausers "smoking-room" ist Rauchen ausdrücklich gestattet. Adib Fricke (The Word Company) entwickelte für die Ausstellung eine mehrteilige Textarbeit, für die er Textstücke zu zentralen Begriffen Arendts in Datenbanken mit verschiedenen Textkorpora recherchiert, diese später fragmentiert und in einem mehrstufigen Auswahlverfahren für seine Installation zusammenstellt hat. Ergebnis ist eine zufällige, zugleich an Arendt orientierte und doch subjektiv künstlerische Setzung und Formulierung. Ein integraler Bestandteil der Ausstellung ist der Leseraum, in dem sich wichtige Texte und Publikationen Hannah Arendts in deutscher und englischer Sprache befinden. Art Transponder - das ist vor Ort Anna Zosik und ihre Mitstreiterinnen bieten in der Ausstellung Führungen für Schulklassen und Gruppen an, sowie eine Denkwerkstatt, in der insbesondere für Schulklassen eine Nachbereitung der Führungen stattfindet und die Wechselwirkung zwischen bildender Kunst und politischem Denken ein wichtiges Thema ist.
Die Ausstellung findet in einer Architektur der Moderne statt, die der Architekt und Gemeindebaumeister Alexander Beer 1927/28 schuf. Sein Leben endete 1944 im KZ Theresienstadt. Sein Schicksal, wie das so vieler europäischer Juden, blieb Hannah Arendt nur durch glückliche Umstände erspart. Der Totalitarismus, der in der Vernichtung der europäischen Juden und vieler anderer Menschen gipfelte, über den Hannah Arendt geforscht und aufgeklärt hat, wird bei der Ausstellung zwar nicht explizit ins Zentrum gerückt, bildet aber den Hintergrund für jedes Denken, das sich mit dem Thema der Freiheit und der Selbstbestimmung beschäftigt. Der Denkraum, der mit der Ausstellung gemeint ist, reicht über den Ausstellungsraum und die Ausstellungszeit hinaus. Er besteht in einem Ansatz, als paradigmatisches Theorem, das es auszufüllen gilt, und ist ein Raum der Veranlassung und der Debatte zu Themen der Gegenwart und Zukunft, der Politik und der Kunst. Man läge falsch, würde man denken, die Ausstellung hätte erst mit ihrer Eröffnung am 14. Oktober begonnen. Sie begann bereits mit der Diskussion um die Auswahl der beteiligten Künstlerinnen und Künstler und schlug sich unter anderem in einer Kontroverse um ein geplantes Kunstwerk von Volker März nieder. (2) Auch die kuratorische Arbeit an der Ausstellung setzte eine Position voraus, die mit der Fähigkeit zur kritischen Debatte und dem Wunsch zum Experiment verbunden ist. In unserem Ausstellungskonzept ging es uns um die Ermöglichung und Entwicklung der Kunst und des Denkraums. Vielleicht sollte in diesem Zusammenhang Hannah Arendts hoffnungsfroher Begriff der Natalität (Gebürtlichkeit) nicht nur auf Menschen, sondern auch auf Kunstwerke angewandt werden. Wie fast immer im Leben, wenn es um etwas Neues geht, war auch unsere Erfahrung: Man muss Vertrauen haben in die Zukunft, muss springen und sich fallen lassen, selbst wenn man zweifelt. Man muss die Schwierigkeiten akzeptieren und dann beginnt der Optimismus. Die Arbeit an dem Ausstellungsprojekt bedeutete für alle Teilnehmenden die Erfahrung bewusster Grenzübertretung, eben aus den Provinzen der Kunst in die Sektoren des politischen Denkens und die Freiheit einer eigenen Vorstellung hinein. Dies stellte - so mein Eindruck - für die teilnehmenden Künstler eine spannende Herausforderung dar. Für Ihre Bereitschaft zum Gespräch und zur Zusammenarbeit möchte ich ihnen an dieser Stelle stellvertretend für unser Team danken. Ebenfalls soll an dieser Stelle allen gedankt werden, die dazu beigetragen haben, dass diese Ausstellung zum 100. Geburtstag Hannah Arendts stattfinden kann, also all jenen Sponsoren, Förderern, Unterstützern, die mit dem Projekt die Möglichkeit erkannt und ergriffen haben, für eigenständiges Denken, Kritikfähigkeit und künstlerisches Experiment mit einzustehen. Großer Dank gilt auch all jenen, die an dieser Ausstellung unermütlich gearbeitet haben. Vor allem zu nennen sind hier die Mitglieder unseres Kuratorenteams - also Katharina Kaiser, Wolfgang Heuer, Hermann Pfütze, aber auch der Gestalter der Ausstellung Thorsten Streichardt soll genannt werden, ebenso Petra Mix und Roswitha Baumeister, auch dem Graphiker Kurt Blank Markard sei herzlich gedankt und all jenen, die die Ausstellung aufgebaut haben und natürlich last not least noch einmal den Künstlerinnen und Künstlern, ohne deren Engagement diese Ausstellung nicht denkbar wäre - Ihnen wünsche ich einen schönen Abend und danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.